Lesen Sie zuerst diesen Brief von Nadia an Linn.
Der Antwortbrief der Leipziger Schriftstellerin Linn Penelope Rieger an ihre niederländische Brieffreundin Nadia de Vries:
Liebe Nadia,
Dein Brief erreicht mich bei einem Kaffee im Deutschen Literaturinstitut. Es ist hier genau das selbe: Arbeit bis zum Horizont. Zwei Tage die Woche halte ich mir eisern zum Schreiben frei, den Rest der Woche bin ich damit beschäftigt, für Netzwerk Lyrik und Edit zu arbeiten, darüber hinaus müssen Lesungen und Moderationen zur Buchmesse nächste Woche vorbereitet werden. Die Messe ist hier wirklich immer Ausnahmesituation. Woran liegt es bei dir? Und ist ein Ende in Sicht? Mir scheint auch die Sonne ins Gesicht, während ich dir schreibe. Ich hatte schon meinen ersten Mückenstich und die erste Fliege in der Wohnung. Irgendwie habe ich mich darüber gefreut und ich hoffe, dass das Frühlingswetter anhält, bis du hier sein wirst.
Es bedrückt mich, dass du dich allein gefühlt hast, und es freut mich sehr, dass mein Brief mit seinen beschriebenen Blättern seinen Teil beitragen konnte, dich aufzuheitern. Und ich kann dir sagen: Deine Briefe sind für mich schon ein Teil des Netzes geworden, das mich hält. Wenn ich mir anschaue, wie viel Körperkontakt und emotionale Nähe mein Kind so ungehemmt einfordert, dann verstehe ich gut, warum wir auch Erwachsene gehalten werden müssen — von was auch immer. Ich werde, um deinem wunderbaren Blüten-Brief im Ansatz gerecht zu werden, die ersten Blüten der Stadt sammeln, damit du sie wiederum nach deiner Abreise als Andenken mit dir nehmen kannst. Ich frage mich nur: Wenn die Bäume ihre Blätter im Herbst abhusten, was tun dann all die Blumen, wenn sie blühen?
Ich finde es bemerkenswert, dass die Jahreszeiten unseren Briefwechsel so beeinflussen. Wir haben begonnen, als der Herbst begann, und nun beginnt der Frühling und der offizielle Teil dieses Projektes ist beendet. Aber: erst jetzt stellt sich für mich die titelgebende Frage dieses Austausches, beziehungsweise stelle ich sie dir. Denn zu Beginn lautete die Frage: wollen wir einander schreiben? Jetzt lautet sie: Wollen wir weiter schreiben? Oder anders: Wollen wir Freunde sein? Ich könnte mich sehr glücklich schätzen, wenn du mir auch im nächsten Herbst noch schreiben wollen würdest.
Es war so schön dein Gast in Amsterdam zu sein, und um mich zu bedanken, habe ich schon Pläne gemacht für Leipzig. So viel sei gesagt: Wir werden eine Menge Bücher zu sehen bekommen, Katzen werden eine gewisse Rolle spielen und an Kaffee wird es uns nicht mangeln. Heute sind die Postkisten für den Versand unseres Literaturmagazins Edit angekommen und im Lager habe ich ganz wunderbare englische Bücher entdeckt, dünn und klein, die geradezu gebettelt haben, verschickt zu werden. Anbei also eine kleine Geschichte von Malte Persson, aus dem Schwedischen ins Englische übersetzt und perfekt für deine schwarze Tasche.
Gute Reise, liebe Nadia. Ich freue mich sehr auf dich!
Alles Liebe,
Linn
Leipzig, 13. März 2024
Unter dem Titel „Du hast eine neue Freundschaftsanfrage“ setzen sich die sechs Autorinnen Aya Sabi, Marlen Hobrack, Nadia de Vries, Linn Penelope Rieger, Sholeh Rezazadeh und Kaśka Bryla aus den Niederlanden, Flandern und Leipzig mit dem Thema Freundschaft auseinander. Was genau macht eine echte Freundschaft aus? Was bedeuten uns Freunde in unsicheren Zeiten? Wie weit würden wir in Zeiten von Krisen und Kriegen für einen Freund oder eine Freundin gehen? Während des literarischen Herbstes begegneten sich die Autorinnen zum ersten Mal persönlich. Im Februar trafen sie sich in Amsterdam und Antwerpen und im März traten sie zum Abschluss des Projekts gemeinsam auf der Leipziger Buchmesse auf. In der Zwischenzeit schrieben sie sich Briefe und tauschten sich über Freundschaft und Literatur aber auch über ihren Alltag und ihre Schriftstellerinnenkarriere aus. Und vielleicht – hoffentlich – sind sie ganz nebenbei Freundinnen geworden.