Freundschaftsprojekt #8.1

Liebe Linn!

Nadia de Vries © Lola Noir

Der vorläufig letzte Brief der niederländischen Schriftstellerin Nadia de Vries an ihre Leipziger Brieffreundin Linn Penelope Rieger:

 

Liebe Linn, 

es ist Dienstag, ich habe einen langen Tag hinter mir, an dem ich alle möglichen kleinen Besorgungen gemacht habe, und jetzt liege ich auf dem Sofa, Latte an meiner Seite. In den letzten Wochen habe ich nonstop gearbeitet, es war ein konstanter Spagat zwischen dem Schreiben und der Arbeit an anderen, weniger kreativen, aber dafür lukrativen Dingen. Hier regnet es noch immer viel, aber ich könnte schwören, dass ich bei meinem Spaziergang heute den ersten Hauch Frühling gerochen habe. Irgendwie fühlt sich die Atmosphäre lebendiger an, als läge mehr Wärme in der Luft – vielleicht wachen alle Insekten aus ihrem Winterschlaf auf und tragen mit ihrem Atem zur Lunge der Stadt bei. Und ein weiterer Winter ist fast schon wieder vorüber. Ich bezweifle, dass wir in dieser Saison nochmal Schnee bekommen. 

Es tut mir leid zu hören, dass du den Preis, für den du dich beworben hast, nicht bekommen hast. Ablehnung ist an unserem Beruf das Schlimmste (und vielleicht einzig Schlimme), denke ich. Es tut weh, wenn die eigene Arbeit nicht anerkannt wird – ich kenne dieses Gefühl nur zu gut. Meiner Erfahrung nach findet das Schicksal jedoch einen Weg, eine hübsche Schleife um Dinge zu binden – sogar um die unschönen. Vielleicht hast du diesen Preis nicht gewonnen, aber ich bin sicher, dass eine andere Auszeichnung gleich um die Ecke auf dich wartet, und wenn die Zeit reif ist… musst du dich nur umdrehen und den Preis in Empfang nehmen. In diesem Sinne fühle ich mit dir und freue mich für dich, dass du wegen der Absage eine so wertvolle Zeit mit deinem Sohn verbringen konntest. . 

Zum Thema Ablehnung: Letzte Woche war Valentinstag und ich fühlte mich ein bisschen einsam. Da ich Vollzeit arbeite und allein lebe, habe ich nicht viel Romantik in meinem Leben. Aber nachdem ich eine Weile geschmollt hatte, wurde mir klar, dass ich eigentlich ganz glücklich bin, so wie die Dinge sind: Ich habe tolle Freunde, liebe Schriftstellerkolleg:innen und eine sanftmütige Katze, die jeden Tag auf mich wartet. Kurz nachdem ich zu dieser Erkenntnis kam, entdeckte ich im Supermarkt leuchtend orange Rosen – warum finde ich in letzter Zeit immer wieder Pflanzen an seltsamen Orten? – und kaufte mir einen großen Strauß. Als ich nach Hause kam, wartete dein Brief auf mich und ich fühlte mich wirklich sehr reich an Freundschaft. Das ist jetzt fast eine Woche her und die Rosen beginnen zu welken, aber einige Blüten habe ich gerettet. Ein paar lege ich diesem Brief bei, um meinen freundschaftlichen Blumenstrauß mit dir zu teilen – und auch, um das Blatt-Thema unserer Briefe aufrechtzuerhalten! (Blüten sind natürlich keine Blätter im eigentlichen Sinne, aber was macht das schon?) 

Es gibt so viele tolle Cafés und Buchläden in Amsterdam. Du musst mir nur sagen, in welchem Hotel du übernachtest und ich überlege mir eine schöne Route. Eigentlich habe ich genau die gleiche Wunschliste für meinen Besuch in Leipzig im nächsten Monat: Guten Kaffee trinken und ein paar Buchhandlungen besuchen. Vielleicht kaufe ich mir einen der Romane von Marlen Haushofer im deutschen Original, damit ich ein Gefühl dafür bekomme, wie sie in ihrer Muttersprache klang. 

Wenn ich so darüber nachdenke, ist dies bereits mein letzter Brief an dich, bevor wir uns wiedersehen. Es ist verrückt, wie schnell die Zeit vergeht. Ich erinnere mich noch, wie ich im Oktober, kurz bevor ich nach unserer ersten Veranstaltung in Leipzig in ein Taxi stieg, sagte: Wir sehen uns sehr bald! Und es kam mir ein bisschen albern vor, denn damals fühlte sich der März noch ziemlich weit weg an. Und jetzt sind wir hier. Es wird schon Frühling und nächste Woche bist du in Amsterdam. Ich freue mich schon sehr darauf, dich wiederzusehen.  

Gute Reise und diesmal stimmt es wirklich: Wir sehen uns bald! 

 

Ein letztes Mal herzliche Grüße

Nadia

Amsterdam, 20. Februar 2024

 

Aus dem Englischen übersetzt von Hanna Otte.

 

 

Neugierig, wie es weitergeht? Den Antwortbrief von Linn an Nadia gibt es hier.

 

Unter dem Titel „Du hast eine neue Freundschaftsanfrage“ setzen sich die sechs Autorinnen Aya Sabi, Marlen Hobrack, Nadia de Vries, Linn Penelope Rieger, Sholeh Rezazadeh und Kaśka Bryla aus den Niederlanden, Flandern und Leipzig mit dem Thema Freundschaft auseinander. Was genau macht eine echte Freundschaft aus? Was bedeuten uns Freunde in unsicheren Zeiten? Wie weit würden wir in Zeiten von Krisen und Kriegen für einen Freund oder eine Freundin gehen? Während des literarischen Herbstes begegneten sich die Autorinnen zum ersten Mal persönlich. Im Februar trafen sie sich in Amsterdam und Antwerpen und im März traten sie zum Abschluss des Projekts gemeinsam auf der Leipziger Buchmesse auf. In der Zwischenzeit schrieben sie sich Briefe und tauschten sich über Freundschaft und Literatur aber auch über ihren Alltag und ihre Schriftstellerinnenkarriere aus. Und vielleicht – hoffentlich – sind sie ganz nebenbei Freundinnen geworden.

Nadia de Vries © Lola Noir