Freundschaftsprojekt #1.2

Liebe Marlen!

Aya Sabi © Annemiek Mommers

Lesen Sie zuerst diesen Brief von Marlen an Aya. 

Der Antwortbrief der flämischen Schriftstellerin Aya Sabi an ihre Leipziger Brieffreundin Marlen Hobrack: 

 

Liebe Marlen, 

vor einigen Wochen habe ich dich zum ersten Mal gegoogelt, weil ich so neugierig auf die Marlen Hobrack war, mit der ich einen Briefwechsel beginnen durfte. Welche Art Schriftstellerin bist du? Warum hatten sie uns zusammengetan? Haben wir viele Gemeinsamkeiten, die dieses Match erklären, oder sind wir ganz im Gegenteil völlig verschieden? Kennst du die Fernsehserie ‘Hochzeit auf den ersten Blick’? Soweit ich weiß ist es eine australische Produktion, die von mehreren Ländern übernommen wurde. Ich stelle mich kurz vor: Ich bin Aya und bis vor kurzem habe ich sehr gern Reality-TV geschaut. Während der ersten Staffeln war ich felsenfest davon überzeugt, dass die Expert:innen die Paare nach bestem Wissen und Gewissen matchten. Nach ein paar Staffeln fiel mir jedoch auf, dass einige Paare offensichtlich nicht zusammenpassten, und ich vermutete, dass sie manchmal eher für explosives Fernsehen als auf der Basis wissenschaftlicher Kompatibilität ihrer Persönlichkeiten gebildet wurden. Diesen Verdacht kann ich natürlich nicht beweisen. Ich muss nur gerade daran denken. Wir müssen nicht zusammen auf Hochzeitsreise gehen oder plötzlich ein Haus teilen. 

Was wir teilen, ist dieser Briefwechsel und ich muss ehrlich sagen, dass ich mich genauso darauf freue, wie du, auch wenn ich viel zu spät angefangen habe, diesen Brief zu schreiben. Das liegt daran, dass ich dir einen guten Brief schreiben möchte. Ich habe lange über diesen ersten Brief nachgedacht und bin dir sehr dankbar, dass du den Briefwechsel begonnen hast. Danke. 

Auch ich hatte sehr viel zu tun. All meine Schriftsteller- und Künstlerfreunde haben ständig sehr viel zu tun. Die Zeiten, in denen Schriftsteller:innen in dem Luxus lebten, jeden Tag stundenlang zu schreiben und die restliche Zeit mit langen Spaziergängen und Kaffee bei Kerzenlicht zu verbringen, sind vorbei. Hast du auch diesen ständigen Drang, jede Anfrage anzunehmen? Als würde von einem erwartet werden, auf alle Diskussionen, die schon lange geführt werden und all die besonderen jährlichen Anlässe, zu reagieren. So geht es mir nämlich und ich weiß nicht, wie ich davon wegkommen soll.

Zurück zu vor ein paar Wochen, als ich dich googelte und dann doch alle Tabs schloss. Ein seltsames Unbehagen überkam mich. Ich würde es auch nicht mögen, würdest du mich googlen. Das darfst du natürlich, aber es führt doch zu anderen Briefen, vermute ich. Ich fände es viel schöner, von dir zu erfahren, was du mir erzählst. Dass dies ein sicherer Ort ist, an dem wir landen können und an dem wir nur Marlen und Aya sind, weit weg von den Suchergebnissen, die öffentlich und für alle gleichermaßen zugänglich sind. 

Danke, dass du gefragt hast, wie es mir geht. Es geht mir wirklich sehr gut. Ich werde dir bald einen richtigen Brief schicken, indem ich dir mehr darüber erzähle. Danke für deine Adresse. Wenn ich merke, wie viel Freude mir diese Korrespondenz macht, nehme ich mir vor, öfter Dinge zu tun, die mich begeistern. Was du mit Brigitte Reiman hast, habe ich mit den Briefen von Rilke. Wie geht es dir, Marlen?

 

Liebe Grüße, auch hier regnet es. 

Aya

Antwerpen, 5.10.2023

 

Aus dem Niederländischen übersetzt von Hanna Otte.

 

 

Unter dem Titel „Du hast eine neue Freundschaftsanfrage“ setzen sich die sechs Autorinnen Aya Sabi, Marlen Hobrack, Nadia de Vries, Linn Penelope Rieger, Sholeh Rezazadeh und Kaśka Bryla aus den Niederlanden, Flandern und Leipzig mit dem Thema Freundschaft auseinander. Was genau macht eine echte Freundschaft aus? Was bedeuten uns Freunde in unsicheren Zeiten? Wie weit würden wir in Zeiten von Krisen und Kriegen für einen Freund oder eine Freundin gehen? Während des literarischen Herbstes begegneten sich die Autorinnen zum ersten Mal persönlich. Im Februar werden sie sich in Rotterdam und Antwerpen wiedertreffen und im März gemeinsam auf der Leipziger Buchmesse auftreten. Und bis dahin? Schreiben sie sich und werden vielleicht – hoffentlich – Freundinnen.

Aya Sabi © Annemiek Mommers