Blog Buchmesse 24

Lust auf Kunst

© Andrea Kluitmann

Mein zweiter Messetag fängt mit einem Schulbesuch an: Zusammen mit Kinder- und Jugendbuchautorin Anna Woltz mache ich mich Mireille Berman und Agnes Vogt, Kinderbuchspezialistin beim Nederlands Letterenfonds, zu Fuß auf den Weg. Die Straßenbahnen fahren nicht und es ist auch schön, etwas von Leipzig zu sehen, einer beeindruckend schönen Stadt. Ein wenig mulmig ist uns schon zumute. Es war nicht ganz klar, wie groß die SchülerInnengruppe sein würde, wenn alle kommen, die teilnehmen dürfen, sind es hundert.

„Hundert Vierzehnjährige? Das geht in den Niederlanden oft schief“, sagte Anna, die sehr oft Schulen besucht.
Wir wurden sehr nett in einem kleinen Theater von einem Deutschlehrer begrüßt, der ein wenig verwundert schaute. Unsere Erklärung: „Wir sind Anna Woltz!“ brachte zunächst wenig Klarheit.

Letztendlich waren nur etwa dreißig SchülerInnen da, und die waren wunderbar. Mit jeder guten Frage und jedem Lächeln schwanden meine Vorurteile gegenüber Vierzehnjährigen. Hier ging man sehr nett miteinander um!

Mit Anna ging es auf der Messe weiter: Das politische Kinderbuch, ein intensives Gespräch über Nächte im Tunnel. „Als ich das Buch schrieb, dachte ich wirklich, ich würde über etwas Historisches schreiben, über einen Krieg, der lange her war. In den Niederlanden erschien das Buch vor dem Krieg in der Ukraine, also kam es ganz anders an als in Deutschland, wo viele LeserInnen es als eine Reaktion darauf lesen.“

Auf meinem Messeplan stehen seltsamerweise auch die Veranstaltungen, die ich sicher verpasse, weil ich selbst an einem Event teilnehme. Ich glaube, ich habe gemacht, weil es doch verbindet, ich weiß dann, wo die anderen sind.
Dann steht da: Kopje Koffie mit Angelo Tijssens. Ich bin neugierig auf das Buch An Rändern, und ich würde den Autor und Kollegin Stefanie Ochel so gern in Aktion sehen. Auch verpasst: Ich will die Chronistin dieser Zeit werden. Die ÜbersetzerInnen Simone Schroth und Christina Siever (die heute den renommierten Else Otten-Übersetzerpreis erhalten) erzählen von den Tagebüchern der jungen Niederländerin Etty Hillesum (1914-1943). Vor vielen Jahren habe ich die gelesen und war tief berührt von Inhalt und Sprache.

Später am Tag hatte ich selbst einen Auftritt im Übersetzungszentrum. Bei der Veranstaltung ÜbersetzerInnen im Rampenlicht habe ich von der Übersetzerglücktournee erzählt, die ich in den Niederlanden zwölf Jahre lang zusammen mit Hanneke Marttin vom Nederlands Letterenfonds und Übersetzerin Nicolette Hoekmeijer organisiert habe. Jeweils drei ÜbersetzerInnen aus unterschiedlichen Sprachen (ins Niederländische) traten an etwa acht Abenden im April und Mai in Buchhandlungen im ganzen Land auf und erzählten von unserem Fach. Was macht Literatur übersetzen so schön, herausfordernd und wichtig?

Alexandra Koch, Mitarbeiterin beim Nederlands Letterenfonds, erzählte über Schwob, ein Projekt, das vergessene Klassiker unterstützt. Übersetzerin Lotte Hammond stellte The Chronicles vor: Junge AutorInnen und junge ÜbersetzerInnen arbeiten gemeinsam an Texten und stellen ihre Ergebnisse auf dem großen Literaturfestival Crossing Border in Den Haag vor.
Abends sollte ich für Anna Enquist auf der Schaubühne Lindenfels dolmetschen. Gemeinsam mit Autorin Zsuzsa Bánk und unter Leitung von Moderatorin Margot Dijkgraaf fand ein Gespräch über die beiden Romane der Autorinnen statt, die viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Das Gespräch fing um 19 Uhr an und ich verließ die Messe um 17.15 Uhr. Geschichten über Verkehr sind IMMER langweilig. Jedenfalls war die Taxischlange wegen des Streiks der öffentlichen Verkehrsmittel schier unendlich lang und ich kam gegen 19.30 Uhr an der Schaubühne an, ein tolles Theater mit großartiger Atmosphäre; man bekommt sofort Lust auf Kunst.
Ohne die schickere Kleidung aus meinem Rucksack zu holen und mich umzuziehen wollte ich mich möglichst wie verabredet unsichtbar auf den freien Stuhl auf der Bühne setzen, bekam aber Applaus vom Publikum …
Anna Enquist und Margot sprechen super Deutsch, ich war völlig überflüssig, und es sagt etwas über die Stimmung aus, dass ich mich trotzdem wohl gefühlt habe.

Ich wollte ins Hotel, um dieses Blog zu schreiben, landete dann aber doch mit Letterenfonds-Direktorin Romkje de Bildt in der Hotelbar, die Sky-Bar heißt und einen guten Blick über die Stadt bietet. Ich sollte Romkje kurz bei ihrer deutschen Rede helfen. Das habe ich auch gemacht, aber wir haben auch einen Mojito getrunken. Mir war da nämlich was eingefallen: Ich hatte an diesem Tag Geburtstag! Und viel schöner hätte er trotz der Hektik nicht sein können.

© Andrea Kluitmann