Blog Buchmesse 24

Das Lesen feiern!

© Andrea Kluitmann

Schon auf dem Amsterdamer Bahnhof sehe ich einige Verleger und auch Mireille Berman, Projektleiterin des Gastlandauftritts Niederlande und Flandern auf der Leipziger Buchmesse. Nach jahrelangen Vorbereitungen ist es endlich soweit! Mitarbeiter Jan Steinz hat gerade Fotos geschickt und geschrieben: „Man sieht uns in ganz Leipzig!“ Und so war es, auf dem Weg vom Bahnhof zur Innenstadt kam ich an Litfaßsäulen vorbei, die von oben bis unten mit Gastland-Postern beklebt waren, im Hotel lag das Veranstaltungsprogramm bereit. Besonders witzig die Treppe auf der Messe mit dem Slogan: „Alles außer flach.“
„Schon wieder? Ihr wart doch gerade erst dran!“, lautete oft die Reaktion, wenn ich erzählte, dass die Niederlande und Flandern im März 2024 Gastland der Leipziger Buchmesse sind.

Nun wissen wir alle, dass das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird; die letzten Gastlandauftritte der „flachen Länder“ waren 1993 und 2016 auf der Frankfurter Buchmesse.
1993 war alles neu. Die niederländischsprachige Literatur im Ausland war noch recht unbekannt. Zwei Jahre zuvor hatte Marcel Reich-Ranicki in seiner legendären Fernsehsendung Das Literarische Quartett die Novelle Die nächste Geschichte von Cees Nooteboom (übersetzt von Helga van Beuningen) extrem begeistert empfohlen und das Buch fand rasanten Absatz. Nach Cees Nooteboom entdeckte Deutschland u.a. Harry Mulisch, Hugo Claus, Connie Palmen, Margriet de Moor und Maarten `t Hart. Und nicht nur Deutschland, über die deutsche Übersetzungen konnten – und das ist immer noch so – weitere Länder für die Bücher aus den Niederlanden und Flandern interessiert werden.
2016 – das war das Jahr mit dem Motto: Dies ist, was wir teilen – abermals ein gemeinsamer Gastlandauftritt. AutorInnen wie Gerbrand Bakker, Arnon Grünberg, Saskia de Coster und Esther Gerritsen, oftmals geboren in den 1970er Jahren, standen im Vordergrund.

Und jetzt also die Leipziger Buchmesse! Eine ganz andere Messe als die Frankfurter. Hier geht es nicht so sehr um den Handel, hier wird das Lesen und die Literatur gefeiert. Leipzig ist eine Messe fürs Publikum, für Leser und Leserinnen. Die ganze Stadt macht mit – Leipzig Liest ist das größte Lesefest Europas, in gefühlt jeder einzelnen Kneipe treten AutorInnen auf, es gibt über 2500 Veranstaltungen, und zwar in allen Genres. Und was es auf der Messe auch zuhauf gibt: Junge Leute, die Schlange stehen vor einem Stand mit Büchern. Das sind zwar nicht unbedingt niederländische Titel in Übersetzung, sondern deutsche oder ins Deutsche übersetzte Romantic-Fantasy, empfohlen von Booktokern. Trotzdem ist dieser Anblick inspirierend und macht gute Laune. In den Niederlanden gibt es solche großen Messen nicht, also sehen wir das nie.

In den vergangenen acht Jahren hat sich in der niederländischen und flämischen Literaturlandschaft viel verändert, tatsächlich gibt es eine neue AutorInnen-Generation. Eine kleine Auswahl in willkürlicher Reihenfolge: Lize Spit, Raoul de Jong, Mariken Heitman, Valentijn Hoogenkamp, Sholeh Rezazadeh, Eva Meijer, Martijn van der Linden, Gijs Wilbrink.
Es sind auch etablierte AutorInnen wie Connie Palmen, Anna Enquist und Stefan Hertmans dabei, aber es geht hauptsächlich um die neue Generation. Um die 40 AutorInnen aus den Niederlanden und Flandern sind nach Leipzig gekommen und bieten dem Publikum etwa 100 Veranstaltungen.
Für mich zählt die Live-Version des Bücherpodcasts „Kopje koffie“ zu den Höhepunkten, täglich zu erleben an dem sehr toll gestalteten Gastlandstand.
Ich ging zum Kopje Koffie mit Lisa Weeda, die von ihrer Übersetzerin Birgit Erdmann moderiert wurde, und zwar sehr gut! Lisa gehört zu den AutorInnen, die so ein Gespräch hinlegen, als wäre es eine Selbstverständlichkeit: tiefenentspannt, Witz und Ernst in feiner Dosierung.

Fein dosiert war die feierliche Eröffnung der Leipziger Buchmesse im Gewandhaus übrigens überhaupt nicht, das war das reinste Wechselbad. Großartige Musik, ausgeführt vom Gewandhaus-Orchester und ein beeindruckend langer und aufrichtiger Applaus für den Ex-Direktor der Buchmesse, Oliver Zille.
Die Reden waren fundiert und professionell (Olaf Scholz, Omri Boehm), eitel und ungemein akademisch und für einen solchen Abend extrem ungeeignet (Eva Illouz) – hinter mir stöhnte jemand: „Hierfür möchte ich bitte einen Schein“ – bis oberflächlich (die Ministerpräsidenten der Niederlande (Mark Rutte) und Flanderns (Jan Jambon).

Ganz und gar nicht oberflächlich waren die Kinder! Gemeinsam mit Autorin Enne Koens besuchte ich die Nachbarschaftsschule in Leipzig. Eine wunderschöne Schule mit einem kleinen Nebengebäude, das Hexenhaus genannt wurde, aber hell und einladend war. Alle duzen sich, die Atmosphäre war ausgesprochen freundlich. Zwei Gruppen von jeweils 26 etwa Zehnjährigen. Im Mittelpunkt stand Ennes Buch Dieser Sommer mit Jente, in dem es um Freundschaft geht und um Grenzen setzen. Am Ende unserer Stunde hatten alle ein Gedicht für einen Freund oder eine Freundin geschrieben und viele trauten sich das Vorlesen, das natürlich gebührend beklatscht wurde. Da waren rührende und sprachlich sehr versierte fast-Liebeserklärungen dabei, ein echter Rap und auch richtig schräger Klamauk.

Nachmittags hatten wir zwei Treffen mit jungen LeserInnen am Gerstenberg-Stand, Ennes deutschem Verlag. Die Kinder hatten das Buch äußerst genau gelesen und sich sehr viele Gedanken gemacht.
Was Freundschaft ist? Ein Kind meinte: „Wenn man sich trösten kann, aber auch, wenn man schöne Sachen miteinander erlebt. Dasselbe Buch lesen finde ich zum Beispiel schön.“ Das macht Mut!

© Andrea Kluitmann

© Andrea Kluitmann