Erst um elf Uhr auf der Messe sein müssen, klang sehr gut. Da ich nach dem schlauchenden Tag gestern (Sie erinnern sich vielleicht: Streik der öffentlichen Verkehrsmittel, endlose Schlangen vor dem Taxistand, Regen, noch mehr Regen, sehr viele Veranstaltungen) spät abends nicht mehr schreiben konnte, wollte ich früh aufstehen, verschlief mich aber, was mir glaube ich seit vierundzwanzig Jahren nicht mehr passiert war.
Meine erste Veranstaltung drehte sich um das Übersetzen von Kinder- und Jugendliteratur, wahrscheinlich dem in Deutschland erfolgreichsten aus dem Niederländischen übersetzten Genre. Meine Gäste waren die KollegInnen Eva Schweikart und Rolf Erdorf, ich hatte die Rolle der Moderatorin übernommen. Wir sprachen über die völlig getrennten Welten der Belletristik und der Kinder- und Jugendliteratur in beiden Ländern, was sehr schade für die Bücher ist, die für Erwachsene ebenso interessant und wertvoll sind wie für Kinder und Jugendliche. Gerade bei Jugendbüchern ist die Grenze oft sehr künstlich.
Wir besprachen eventuelle Kriterien beim Kinder- und Jugendbuch, das eigene Kindbild, das Verfassen von Gutachten und die Prozesse, die beim Übersetzen im Gehirn ablaufen. Und auch die extra erbärmliche Bezahlung kam zur Sprache. In Deutschland bekommen ÜbersetzerInnen von Kinder- und Jugendliteratur nämlich bedeutend weniger als die Belletristik-ÜbersetzerInnen, was übrigens in den Niederlanden – und auch vielen anderen Ländern – nicht so ist. Unsäglich ungerecht (es geht nämlich meist nicht schneller und ist nicht einfacher) und angesichts der abnehmenden Lesefähigkeiten auch unsäglich unbegreiflich und kurzsichtig. Nach der Diskussion kam jemand zu mir, der vielleicht Übersetzer werden möchte, und fragte: „Aber wie kann man denn davon leben?“
Nun gucken wir ja alle Nachrichten und wissen, wie andere Menschen leben müssen. Aber klar verstehe ich die Frage. „Ich lebe jetzt sehr gut“, lautete meine Antwort. „Ich mache so ziemlich alles, was ich machen möchte. Bedrohlich ist das Alter, als Übersetzerin Rücklagen bilden ist wirklich schwierig, und man baut natürlich keine Pension auf. Es könnte also sein, dass das Alter hart wird, und darüber mache ich mir durchaus Sorgen.“
Aber nicht jeden Tag, und auf der brausenden Leipziger Buchmesse schon mal gar nicht!
Von uns ÜbersetzerInnen wird oft erwartet, nur „Qualität“ anzunehmen. Ich hörte eine Anfänger-Kollegin auch mal von einem „Qualitäts-Portfolio“ sprechen. Super, wenn man sich das leisten kann. Tatsache ist nämlich, dass sich Qualität oft nicht so gut verkauft. Eva kam mit einem schönen Vergleich: Sie unterscheidet zwischen Schokoladenbüchern und Brotbüchern, und vermutlich kann man die Miete oder Hypothek eher mit den Brotbüchern bezahlen.
Am Ende unseres Gesprächs kam die Hieronymus-Fee vorbei, der Heilige Hieronymus ist ja der Schutzheilige der Übersetzerzunft. Drei Wünsche hatten wir frei und waren ziemlich einer Meinung: mehr Geld, mehr Anerkennung (da gibt es durchaus einen Zusammenhang) und mehr Zeit.
Das mit der Anerkennung ist wirklich so eine Sache, ich war bei mehreren Veranstaltungen, bei denen sehr lange aus übersetzten Texten vorgelesen wurde, die ÜbersetzerInnen aber tatsächlich nicht genannt wurden, es gibt da noch so viel zu tun!
Bei der Preisverleihung des Else Otten-Übersetzerpreises an Simone Schroth und Christina Siever für das bei H.C. Beck erschienene Werk „Etty Hillesum. Ich will die Chronistin dieser Zeit werden. Sämtliche Tagebücher und Briefe“ gab es sehr viel Lärm von den Standnachbarn, so richtig festlich war das Setting nicht. Dass es trotzdem eine großartige Preisverleihung war, lag an den großartigen Reden. So zitierte Pierre Bühler, der Herausgeber der Tagebücher und Briefe, u.a. den französischen Philosophen Pierre Ricoeur, der in der Gastfreundschaft der Sprache den wahren Zweck der Übersetzung sieht. Ein schöner Gedanke.
Preisträgerin Simone Schroth betonte in ihrer Dankesrede, wie viele Menschen an einem Projekt wie dem ausgezeichneten beteiligt sind, und endete mit einem Aufruf an die Verleger: Ermöglicht unsere Existenz weiterhin, gerade in Zeiten von Künstlicher Intelligenz und Inflation.
Und dann ist die Messe für mich fast zu Ende, nur morgen Vormittag gibt es noch ein Gastland-Programm. Offensichtlich waren die Cosplayers, die auf der Leipziger Buchmesse immer in großen Gruppen vertreten sind, gerade unterwegs zu ihrer Party. Jedenfalls war ich auf dem Weg zum Ausgang plötzlich von vielen düsteren Rittern mit riesigen Plastikschwertern und Prinzessinnen umgeben. Ich erinnerte mich, dass es vor ein paar Jahren in den Feuilletons eine heftige Diskussion gab, ob die Cosplayer nicht von der Messe verbannt werden sollten, weil sie nicht mit den ernsten Themen einhergingen, die auf der Messe eine wichtige Rolle spielten.
Meine Meinung: Die Welt ist ernst genug. Zudem ist sie geprägt von großen Kontrasten und wir sind es gewöhnt, damit umzugehen. Mir jedenfalls macht es Spaß, den Plüschohrigen und Orks zuzusehen, die übrigens immer freundlich und gut gelaunt sind.