Aller Anfang ist schwer #6

Lisa Mensing

Lisa Mensing © Bella Demant

„Den Lesenden einen sanften Einstieg in die Geschichte bereiten

 

Gaea Schoeters Roman „Trofee“, erschienen 2020 bei Querido, ist spannend, aktuell und voller Gesellschaftskritik. Im Interview spreche ich mit Lisa Mensing über ihre deutsche Übersetzung, die am 19. Februar 2024 unter dem Titel „Trophäe“ bei Zsolnay erscheint.

 

Hunter, ein weißer, sehr reicher Amerikaner mittleren Alters, reist nach Afrika. Er ist Trophäenjäger mit dem Ziel, alle Tiere der Big 5 zu schießen. Ihm fehlt nur noch ein Nashorn, das er jetzt auf seiner Reise erlegen möchte. Die Jagd geht schief und Hunter wartet in der Lodge seines Jagdleiters ab. Dieser macht ihm schließlich einen Vorschlag und fragt ihn, ob er schon einmal etwas von den Big 6 gehört habe. Ein erschütternder Roman über den Postkolonialismus und große moralische Fragen. In den Worten des flämischen Autors Dimitri Verhulst: ein ‚Ethischer Mindfuck!‘

 

Kannst du dich noch erinnern, wie der Anfang des Buches auf dich gewirkt hat, als du das Buch zum ersten Mal gelesen hast?
Ich weiß noch, dass mich der unvermittelte und plötzliche Einstieg ein bisschen irritiert hat. Die Geschichte wird von einem kurzen Intro und einem Outro eingerahmt, die in einer anderen Zeit spielen. Als Leser:in wird man direkt in diesen kurzen Prolog hineingeworfen. Es gibt keinen Titel, keine Kapitelnummer oder andere Orientierung. Mir ist auch direkt aufgefallen, wie szenisch die Autorin schreibt und wie gut sie Spannung aufbaut. Schon der sehr lange und verschachtelte erste Satz hat etwas Bedrohliches. Als Leser:in ist man direkt mitten im Geschehen, auch weil das Buch im Präsens geschrieben ist. Mir war schnell klar, dass der erste Satz hier besonders wichtig für meine Übersetzung ist. Bei so einem unvermittelten Beginn muss man den Lesenden einen sanften Einstieg in die Geschichte bereiten – einen Satz, der fließt und die Leser:innen nicht zum Straucheln bringt. Das war hier gar nicht so leicht.

 

Als een roofvogel duikt het vliegtuig uit de inktzwarte hemel naar beneden, om vervolgens af te remmen, even schijnbaar bewegingloos te blijven hangen en dan een wijde cirkelende bewe­ging in te zetten, alsof het aarzelt tussen twee mogelijke prooien en nog niet besloten heeft op welke het zich zal storten.

Wie ein Raubvogel taucht das Flugzeug am tintenschwarzen Himmel auf, um danach abzubremsen, kurz scheinbar regungslos zu schweben und dann zu einer weitläufigen, kreisenden Bewegung anzusetzen, so als schwanke es zwischen zwei möglichen Beuten, unentschlossen, auf welche es sich stürzen soll.

 

Welche Schwierigkeiten hattest du beim Übersetzen dieses ersten Satzes?
Ich musste mir erstmal darüber klar werden, was hier eigentlich passiert: Ein Flugzeug setzt zur Landung an und wird mit einem Vogel verglichen, der über seiner Beute kreist. Das sind zwei Bilder, die man zusammenfügen und selbst im Kopf nachbauen muss.
Fängt man vorne an, hat man schon einen ersten interessanten Bewegungsablauf. Das Flugzeug taucht aus dem schwarzen Himmel nach unten. Das funktioniert im Deutschen nicht so richtig. Taucht das Flugzeug auf? Erscheint es einfach am Himmel? Taucht es durch die Wolkendecke? Was passiert da eigentlich wirklich?
Ein ähnliches Problem hatte ich bei dem ‚bewegingsloos blijven hangen‘. Wörtlich steht da, dass das Flugzeug hängen bleibt, was im Deutschen meiner Meinung nach nicht gut funktioniert, weil man dazu kein Bild vor Augen hat, sich nichts darunter vorstellen kann. Also habe ich nach alternativen Wörtern gesucht und schließlich ‚schweben‘ gefunden: Das Flugzeug schwebt in der Luft.

Der Satz ist ja sehr lang und hat mehrere Nebensätze, war das hier auch eine Herausforderung?
Ja, diese ganzen Nebensätze machen einem das Leben ganz schön schwer. Ich habe zuerst wörtlich übersetzt, aber das hat im Deutschen gar nicht funktioniert. Fängt man bei dem ‚alsof‘ an, käme wörtlich dabei heraus: ‚als zögerte er zwischen zwei Beuten und hätte sich noch nicht entschieden, …‘. Mal abgesehen davon, dass ‚zögern‘ ja inhaltlich gar nicht so gut passt, klingt der Satz durch den Konjunktiv auch irgendwie schwer und komplex. Da habe ich lange dran rumgebastelt und dann festgestellt, dass ‚schwanken‘ viel passender ist als ‚zögern‘. Mit dem ‚unentschlossen‘ habe ich dann eine Lösung gefunden, mit der ich sehr zufrieden bin und einen Konjunktiv einsparen konnte, wodurch der Satz etwas kürzer und verständlicher geworden ist.

Wie bist du beim Übersetzen des Satzes vorgegangen?
Ich übersetze generell am Anfang immer sehr wörtlich. Bei diesem Satz war es so, dass ich in der ersten Korrekturrunde noch sehr viel verändert habe. In der zweiten Korrekturrunde habe ich dann nur ein paar Kleinigkeiten angepasst. Über das ‚remmen‘ habe ich zum Beispiel noch nachgedacht. Ich habe es erst mit ‚bremsen‘ übersetzt, aber im Deutschen ist ‚abbremsen‘ viel passender. Und ‚bewegingsloos‘ kann man hier auch nicht wörtlich mit ‚bewegungslos‘ übersetzen, wir sagen natürlich eher ‚regungslos‘. Da sieht man, dass man oft an der niederländischen Sprache kleben bleibt, weil sie dem Deutschen so ähnlich ist. Gerade weil der Satz so lang ist, habe ich ihn mir auch immer wieder laut vorgelesen, um zu kontrollieren, ob meine Lösungen gut klingen.

Wie ging es dir mit dem Jagdwortschatz, musstest du dazu viel recherchieren?
Ja, total. Ich habe bei diesem Buch super viel recherchiert. Am Anfang des Buches wird zum Beispiel beschrieben, wie Hunter seine Waffe vorbereitet. Ich hatte natürlich noch nie ein Gewehr in der Hand und wusste überhaupt nicht, was er da genau macht. Zu solchen Dingen habe ich viel im Internet recherchiert und war zum Beispiel in Waffenforen unterwegs, in denen sich Leute unter anderem darüber austauschen, wie sie ihre Gewehre pflegen und auseinanderbauen. Daraus habe ich mir dann die passenden Wörter hergeleitet. Ich habe auch verschiedene Webseiten über Großwildjagd besucht, auf denen wirklich Werbung für solche Jagden gemacht wird und wo man diese sogar buchen kann. Da gab es auch Erfahrungsberichte und Fotos von Jäger:innen neben ihrer erschossenen Beute. Das hat sich total komisch angefühlt und ich wollte gar nicht auf diesen Seiten unterwegs sein, aber es gehört natürlich zum Übersetzen dazu.
Die Recherche zog sich bis zum Lektorat. Am Ende haben wir zum Beispiel noch über verschiedene Wildschweinarten gesprochen und überlegt, ob ein Wildschwein auch immer ein Wildschwein ist.

 

Ein Interview von Hanna Otte

 

Lisa Mensing, geboren 1989, studierte Interdisziplinäre Niederlandistik und Literarisches Übersetzen in Münster und Utrecht. Heute übersetzt sie Prosa, Theaterstücke und Poesie aus dem Niederländischen. Darüber hinaus arbeitet sie als Literaturwissenschaftlerin an der Universität Münster, widmet sich dort vor allem übersetzungsrelevanten Themen und gibt Kurse für angehende Niederlandist:innen.

Weitere Informationen: lisamensing.de

Lisa Mensing © Bella Demant