#23

Amarylis De Gryse im Gespräch über „Der berühmte Tiefpunkt“

Bettina Baltschev im Gespräch mit Amarylis De Gryse, Literaturhaus Leipzig © Carmen Laux

Im Literaturhaus Leipzig stellte die flämische Autorin Amarylis De Gryse Anfang September ihr Romandebüt „Der berühmte Tiefpunkt“ (Arche, Übersetzung: Ruth Löbner) vor. Der niederländische Titel „Varkensribben“ – „Schweinerippen“ führt die Leserschaft bereits auf die richtige Spur: So ist die Protagonistin Marieke über ihren Freund Blok mit einer westflämischen Metzgerdynastie verbandelt, in deren Laden sie zu Beginn aushilft und in festgefügte familiäre Strukturen und Rollenmuster gerät. Dieses Korsett setzt sich an Mariekes späterem Arbeitsplatz, einem Seniorenheim, das die Bedürfnisse seiner Bewohnerschaft sträflich missachtet und die Pflegekräfte ausbeutet, fort. In ihrer eigenen Familie ist ihr der Vater abhanden gekommen, die Mutter verfällt nach der Trennung der Eltern in tiefe Depression und zu den älteren Schwestern hat Marieke kaum eine Bindung. Kurz und gut: Es ist Zeit für Veränderungen, für Aufbegehren und die Suche nach den eigenen Wurzeln und Bedürfnissen.  

In ihrem Podcastgespräch mit Bettina Baltschev schildert die Autorin, gelernte Biobäuerin und Sozialarbeiterin, wie sie auf die Idee kam, diesen Roman zu schreiben. „Ich habe als Sozialassistentin in den ersten Jahren im Bereich Migration und Asyl gearbeitet, in Asylzentren. Und dort empfand ich immer wieder so eine bestimmte Ohnmacht. Als Betreuerin hast du so viele Kompetenzen, aber du kannst gegen die Entscheidungen der Politik oft nichts ausrichten. Und diese Ohnmacht war etwas, mit dem ich spielen – nein, das ist das falsche Wort – worüber ich schreiben wollte.“ Marieke, die sich lange Zeit in dieser Situation einrichtet und sie akzeptiert, erkennt schließlich, dass sie handeln muss, um zu sich selbst zu finden. „Es ist viel einfacher, die Angst zu überwinden und sie zuzulassen, als sie die ganze Zeit weg zu schieben“, betont Amarylis De Gryse, die schließlich einen fulminanten Ausweg und Ausbruch für ihre Protagonistin inszeniert und ihrer Leserschaft mit viel Fantasie und Humor und vor Augen führt, dass nichts so bleiben muss, wie es scheint.  

Episode #23 mit Amarylis De Gryse und Bettina Baltschev (Moderation und Übersetzung) sowie Nele Solf (Lesung). Die Übersetzungen wurden von Nora Decker eingesprochen.
Produktion ARTEFAKT Kulturkonzepte im Auftrag von Flanders Literature Antwerpen und der Vertretung von Flandern © 2023

Bettina Baltschev im Gespräch mit Amarylis De Gryse, Literaturhaus Leipzig © Carmen Laux