#9

Stefan Hertmans im Gespräch über „Der Aufgang“

Stefan Hertmans © Saskia van der Stichele

„Ich schreibe sehr gern mit Kaffee und Hunger“, gesteht Stefan Hertmans in unserer neuen Podcast-Folge, die im Poëziecentrum in der Innenstadt von Gent aufgenommen wurde. In seinem Gespräch mit Katharina Borchardt geht es nicht nur um seinen Werdegang als Schriftsteller, um Schreibgewohnheiten und Kaffeerituale, sondern vor allem um sein neues Buch „Der Aufgang“ (Diogenes), das in dieser Stadt, genauer in einem alten Haus spielt, das der Autor einst besaß und bewohnte. Bei seinem Kauf Ende der 1970er Jahre ahnte er noch nichts von den geheimnisvollen Geschichten, die sich Jahrzehnte zuvor hinter diesen Mauern im Drongenhof abgespielt haben. Hier lebte einst der belgische SS-Mann Willem Verhulst, der als namhafter Nazikollaborateur viele seiner Landsleute bespitzeln ließ und ans Messer lieferte. Sein Sohn Adriaan, Historiker und früherer Professor des Autors, verarbeitete seine Sicht auf diese Geschehnisse in einem Buch, das eine von vielen Recherchegrundlagen für „Der Aufgang“ war. Stefan Hertmans erzählt auch von seinen Begegnungen mit den Töchtern Letta (90) und Suzy (86), die ihm offen von den familiären Verhältnissen, ihrer pazifistischen Mutter Mientje, der Geliebten und den Machenschaften ihres Vaters berichteten und ihn auf weitere historische Quellen aufmerksam machten. Das Ergebnis ist ein fesselnder Roman, der ein facettenreiches Familienporträt rund um einen Mann zeichnet, dessen nationalistische Überzeugung Auslöser für extreme Taten und Verbrechen war. Als Spezialist für historische Stoffe und angetrieben von einem tiefen Bedürfnis nach Verständnis, tastet sich Stefan Hertmans an diese Figuren heran und beleuchtet damit die Tragödie eines ganzen Landes.
Episode #9 mit Stefan Hertmans und Katharina Borchardt (Moderation) sowie Matthias Friedrich (Lesung). 
Produktion ARTEFAKT Kulturkonzepte im Auftrag von Flanders Literature Antwerpen © Berlin 2022

Stefan Hertmans © Saskia van der Stichele